Heute per Du / Podcastblog

Über die Balance des aufrichtigen Anredens

Günther Jauch und Oliver Pocher tun es ständig. Sie sind untereinander nicht Günni und Olli, sondern Herr Jauch und Herr Pocher. Trotzdem machen sie gemeinsam Schabernack, necken sich, lachen und sind sich irgendwie nahe. Dabei höflich und wertschätzend. Es geht also – sich nahe sein, obwohl man sich siezt. Und auch umgekehrt funktioniert es wunderbar: Wenn sich Günther und Thomas duzen, klingt das nicht weniger respektvoll als Herr Jauch und Herr Gottschalk.


Du oder Sie – der Spagat zwischen "Du Frau Meier" und "Anton, können Sie mal?" ist schwierig und es bedarf einer großen Portion Fingerspitzengefühl. Obwohl – ist doch alles ganz genau kniggegeregelt, oder? Ich liebe die deutsche Sprache dafür, dass sie uns die Möglichkeit gibt, zwischen Du und Sie zu unterscheiden. Diese Möglichkeit sollten wir unbedingt nutzen und wenn Ihr mich fragt: ich bin eine Siezerin. Ich mag es, erstmal den Sympathiefaktor des anderen zu checken, bevor ich ins freundschaftliche Du übergehe. Aber – Euch duze ich hier doch auch gerade? Das liegt zum einen daran, dass dieser Blogartikel 1:1 aus meinem Podcast entstanden ist. Und es liegt daran, dass ich gern wüsste: Wie wirkt das auf Dich? Positiv, weil Du Dich damit wohlfühlst oder negativ, weil ich Dir damit irgendwie zu nahe komme, obwohl wir uns überhaupt nict kennen?

"Du, Frau Steinkamp, ..."

Philipp ist das auch aufgefallen. Nach meiner ersten Podcastfolge schreibt er mir folgendes:

 

Du, Frau Steinkamp,
wir sind uns im Knigge-Kurs der Universität Duisburg-Essen im vergangenen Jahr begegnet. Ich denke sehr gerne an diesen Kurs zurück und fand ihn großartig. Wie man allerdings einen Siez-Kontakt anspricht, wenn er einen im Podcast duzt, haben wir da nicht gelernt. Ich übernehme einfach mal das charmante Du aus Podcast und Newsletter …

 

Hallo Birte!

Und dann beginnt seine Mail. Ich finde das klasse! Das ist doch das perfekte Beispiel dafür, wie man wirklich charmant mit einer Unsicherheit umgeht. Einfach offen ansprechen! So kann ich selbst als Kniggetrainerin einem Duzer nicht bös sein.

 

Philipps E-Mail ist aber auch wirklich berechtigt. Merkwürdig, dass so eine Kniggetrainerin mich einfach duzt, oder? Ich habe vor meinem Podcast ausführlich darüber nachgedacht! Mein erster Impuls war nämlich „Natürlich sieze ich mein Publikm. Das gehört sich schließlich so! Und nur, weil es im Internet heute gang und gäbe ist, sich zu duzen, muss ich da ja nicht mitmachen!“ Zu dieser Meinung stehe ich auch immer noch, dennoch duze ich Euch! Ich möchte Euch, meinem Publikum, so nah wie möglich sein und mich auch den gängigen Podcast-Marotten anpassen. Ich möchte Dir beim Hören das Gefühl geben, ich sitze als nette Freundin neben Dir und wir plaudern ein bisschen. Und am wichtigsten: Ich möchte ja zeigen, wie aktuell und modern Knigge ist. Da finde ich ein Du irgendwie passender. Wie denkst Du darüber? Gibt es da draußen jemanden, der sich gerade in diesem Podcast mit einem Sie wohler fühlen würde? Wenn Du magst, lass mich an Deiner Meinung teilhaben und schreib mir – auf Instagram, per E-Mail-wo Du magst.

Mal "Du" mal "Sie" – geht das?

Im real Life, wenn Du meine Stimme nicht aus Deinem Smartphone hörst, oder im Auto, sondern wir uns mal begegnen, werde ich Dich übrigens Siezen. Wir kennen uns schließlich gar nicht und dann wähle ich die höflichste Variante – das Sie. Geht nicht? Einmal Du – immer Du – denkst Du? Geht wohl!


Wie Du bereits in meinen letzten Folgen gelernt hast, ist Knigge da sehr flexibel. Stets angepasst auf die Situation und auf die Person gibt es keine Regel, die Du wie ein Gesetz einhalten musst. Das Siezen außerhalb dieses Podcasts bedeutet nicht, dass wir einen Schritt zurück gehen in unserer persönlichen Beziehung zueinander. Die richtige Anrede ist zwischen uns einfach nicht wirklich geklärt und solange das so ist, gilt die höflichste Anrede.


Spätestens, seitdem wir in schwedischen Möbelhäusern durchweg geduzt werden, denken viele Menschen, das Dauer-Duzen ist die unkomplizierte Lösung für eine gute zwischenmenschliche Beziehung. Wir sind Freunde, wir sind Familie, wir haben uns lieb. Dabei vergessen viele, dass zu einer guten Beziehung zwischen Menschen neben dieser „best friends-Manier“vor allem Respekt, Höflichkeit, Wertschätzung und eine angemessene Distanz gehören. Ein „Sie“ ist dabei nicht alles, aber schon mal die unkomplizierteste Möglichkeit, eben diese Werte auch über die Sprache ausdrücken.

Es wird gesiezt, solange nichts anderen vereinbart ist

Das scheinbar selbstverständliche und ungeklärte „Du“ gegenüber anderen Menschen ist nicht nur unhöflich, es zeugt auch davon, dass sich der andere keine Mühe macht, Feingefühl an den Tag zu legen. Er möchte besonders empathisch sein, indem er durch das „Du“ ausdrückt „Hey, wir sind Freunde. Alles ist easy zwischen uns!“ Und genau das ist nicht besonders empathisch. Es ist sogar eine Art Degradierung und Respektlosigkeit. Jemanden zu duzen steht zwar für Nähe, Freundschaft, Sympathie und Augenhöhe. Das heißt aber nicht, dass ein „Sie“ all diese netten Eigenschaften automatisch außer Kraft setzt oder gar für Überlegenheit oder kühle Distanz sorgt. Es ist sehrwohl möglich, einem Menschen mit einem wertschätzenden „Sie“ näher zu sein, als mit einem „Du“.


Es gibt ein paar Fakten rund ums Siezen und Duzen, mit Hilfe derer Du in allen Situationen sicher und souverän auftrittst. Grundsätzlich gehört es sich, Erwachsene und auch Jugendliche ab dem Eintritt ins Berufsleben zu siezen. Das gilt privat und beruflich in persönlichen Gesprächen genau so wie in Telefonaten, Briefen und E-Mails. Und zwar so lange, bis ein gegenseitiges Du angeboten und auch angenommen wurde.


Kommst Du zum Beispiel neu in ein Unternehmen, in dem sich alle duzen, so ist es Aufgabe der Kollegen, Dir das Du anzubieten. Das ist so eine Art „mit ins Boot holen“ und es nimmt Dir sofort die Unsicherheit, wie Du denn verhalten darfst. Auch, wenn das dort der gängige Umgangston ist, schickt es sich für Dich nicht, das Du einfach einzufordern. Bleibt das Du-Angebot aus, kannst Du die Situation lösen, in dem Du sagst „Mensch, Kalle, ehm, Herr Müller, mir ist aufgefallen, dass sich hier alle duzen!“ Dann wird Kalle sich schon kümmern.

 

Schreibst Du eine E-Mail an mehrere Empfänger, von denen Du einige siezt und einige duzt, so gilt das Sie. Vermeide hier unbedingt, zwischen einem Sie und einem Du hin und her zu switchen. Das verwirrt nur und macht die E-Mail nicht verständlicher. Eher im Gegenteil.


Wenn man sich also an die Regel „Es wird gesiezt, so lange nichts anderes vereinbart ist“ hält, ist man auf der sicheren Seite. Und der Weg vom Sie zum Du ist auch nicht schwierig: Geschäftlich bietet grundsätzlich der Ranghöhere dem Rangniedrigeren das Du an. Bedeutet: der Chef dem Assistenten, die Vorgesetzte dem Kollegen, der Personaler der Auszubildenden. Übrigens unabhängig des Geschlechtes. Und weil ich folgende Problematik sehr häufig in meinen Seminaren höre: Es obliegt einem Ranghöhreren nicht, seine Mitarbeiter zu duzen und selbst das Sie einzufordern. Oder, was häufig passiert, Chefs duzen einfach, ohne sich darüber Gedanken zu machen, den Mitarbeitenden damit in Verlegenheit zu bringen. Das ist echt stillos. Liebe Führungskräfte da draußen: Schenkt Euren Kolleginnen und Kollegen dasselbe Maß an Respekt, das Ihr auch selbst erfahrt. Sich durch eine Sie/Du-Diskrepanz Respekt zu verschaffen und so eine gwisse Autorität darstellen zu wollen, ist wirklich schwach. Genau so stilos ist es im Privaten, wenn ältere Menschen jüngere duzen, aber selbst ein Sie erwarten.

 

Nun kann es aber mal sein, dass in einer Bierlaune – wenn Ihr auf der Weihnachtsfeier jeden Glühwein mit Schuss bestellt und schon auf den Tischen tanzt, einfach so ein Du rausrutscht und Ihr mit dem Vorgesetzten schmutzige Witze erzählt. Dieses „Du“ ist unverbindlich. Es bedeutet nicht, dass Ihr Euch am nächsten Montag – wieder nüchtern – zum Billardspielen in Deiner Stammkneipe verabreden werdet. Hier also unbedingt Feingefühl an den Tag legen und beim nächsten geschäftlichen Aufeinandertreffen vorsichtshalber siezen. Ein bleibendes Du gilt nur, wenn Ihr Euch tatsächlich darauf verständigt und das könnte der Vorgesetzte ja tun, indem er sagt „Ach, wissen Sie was, Müller, ich schlage vor, wir bleiben einfach beim Du vom Freitag – aber den Rest vergessen wir. *zwinker*“. Schon ist die Sache klar.

Man duzt sich nur, wenn man sich mag. Ich finde, das sollten Sie wissen!

Ein „Du“ ablehnen? Geht das? Natürlich! Aber nicht ohne Grund. Ein Duz-Angebot, egal ob nun im Business oder privat, hat ja eine Bedeutung. Mehr Freund- als Feindschaft, Sympathie statt Antipathie und Nähe statt Abstand. Grundsätzlich alles positiv und wenn Du mit einem Du gut klarkommst, nimm es dankend an. Besiegelt wird das gern noch einmal durch ein Händeschütteln und das Nennen des Vornamens, vergiss nicht, Dich zu freuen und das auch durch ein Lächeln zu zeigen – so sind alle Missverständnisse weggeräumt.

Ein Du-Angebot von einem Vorgesetzten bekommst Du ohnehin nur dann, wenn dieser davon ausgeht, dass sich in Eurem sozialen Miteinander in Sachen Respekt nichts ändert. Sonst wäre das für ihn viel zu gefährlich.

 

Ablehnen geht – hat aber meiner Meinung nach bei Vorgesetzten einen wirklich faden Beigeschmack, der Eure Beziehung zueinander wahrscheinlich nicht verbessern wird. Es ist nicht direkt eine Beleidigung, aber eine Ablehnung. Darum ist hier viel Fingerspitzengefühl und das richtige Einschätzen der Situation wirklich wichtig.


Zwischen ranggleichen Personen ist das anders. Da kann man durchaus so etwas sagen wie „Ich freue mich über Ihr Angebot und das damit verbundene Vertrauen. Ich bin es eher gewohnt, meine Kollegen zu siezen. Und erstmal möchte ich gern dabei bleiben.“ So oder so ähnlich könnte es klingen und damit lasst ihr auch ein späteres Duzen offen.

Behinderte Menschen einfach duzen?

Behinderte Menschen einfach duzen? Dazu hat mich kürzlich auch das Magazin „Mitteilungen“ vom Arbeitskreis Downsyndrom Deutschland e.V. interviewt. Ein 42-jähriger Mann mit Downsyndrom ärgert sich darüber, dass er ständig ungefragt geduzt wird. Er möchte akzeptiert werden, mit Achtung und echter Aufmerksamkeit und sagt „Die Leute möchten freundlich sein, aber das klingt für mich von oben herab“. Und das ist es auch. Unabhängig von einer Erkrankung gehört es sich, fremde erwachsene Menschen zu siezen. Alles andere ist unhöflich und demonstriert eine Art Macht, Überheblichkeit und auf ganzer Linie fehlendes Feingefühl. Einen Menschen mit Behinderung einfach zu duzen klingt ja wie „Hey, wir sind Freunde. Ich mag Dich ‚trotzdem‘!“

 

Pah. Das kann ich hier nicht einmal wertschätzend betonen, weil ich dieses Verhalten einfach nur ekelhaft finde. Sich ungefragt darüber hinwegzusetzen, ob der oder die andere mit dem „Du“ einverstanden ist, hat nichts wertschätzendes an sich. Diesem ungewollten Du tritt man am besten mit einer Frage entgegen wie „Oh, sind wir uns schon einmal begegnet?“ Lautet die Antwort „Nein“, so fügt man hinzu „Ich wundere mich nur, dass Sie mich duzen!“ Eine Version für Menschen, denen man häufiger begegnet, wäre „Herr Schmittskatze, ich bin gerade etwas unsicher. Mir fällt auf, dass Sie mich duzen – sind wir denn einmal zum Du übergegangen?“ In beiden Fällen liegt es nun am Gegenüber, Einsicht zu zeigen und die Anrede gleichzusetzen – entweder das Du anbieten oder zurück zum Sie. Solange der eigene Tonfall hier höflich und ruhig bleibt, ohne als Angriff gewertet zu werden, ist das eine ganz neutrale Klärung.

"Können Sie mir bitte mal die Hantel reichen?"

Und dann gibt es da noch diese Situationen, in denen sich alle ganz selbstverständlich duzen und man nur Teil des Großen Ganzen sein kann, wenn man mitmacht. Auf Parties bei Freunden zum Beispiel, im Fitnessstudio, auf dem Fußballplatz oder auch in verschiedenen Berufsgruppen. Einfach mitmachen ist da mein Tipp oder es eben davon abhängig machen, wie sich jemand vorstellt. Im Laufe der Revolution waren wir als Rudeltiere immer erfolgreicher als alleine und im Fit for fun-Kurs klingt ein „Können Sie mir bitte mal die Hantel reichen“ irgendwie unpassend. Dennoch gilt: Trainiere ich mit einem Siez-Vorgesetzten – was an sich schon unangenehm sein kann – so gilt das Du zwar auf der Hantelbank, während man im Büro aber beim Sie bleibt. Wir nennen das situationsbedingt. Und wieder ist Knigge ziemlich flexibel.

Es gibt so viele Situationen, in denen man angemessenes Verhalten nicht durch eine starre Regeltabelle definieren kann. Darum: vertrau auf Dein Gefühl und entscheide Dich im Zweifel immer für die höflichere Variante. Leg in den kommenden 2 Wochen einmal den Fokus auf Anreden. Lausch doch mal unauffällig bei anderen Gesprächen und stell auch Deine eigene Einstellung auf den Prüfstand – bist Du schnell beim Du und möchtest es so von Anfang an unkompliziert gestalten, vergisst aber, dass Du damit vielleicht jemandem zu nahe treten könntest? Oder bist Du eher die Siez-Type, die dadurch ungewollt Distanzen aufbaut, wo sie nicht nötig sind? Ein wirklich spannendes Thema. Und wenn Du auch so einen Duz-Banausen kennst, der selbst gern duzt, während er sich lieber siezen lässt, dann empfiehl ihm doch diesen Blogbeitrag oder meine Podcastfolge. Auch eine Art, mit einem Augenzwinkern auf Fehlverhalten hinzuweisen :)


Danke fürs Lesen und ... bleib anständig! Klinkt doch hier irgendwie besser als „bleiben Sie anständig, oder?“

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Birte Steinkamp
Zert. Trainerin für Business-Etikette

birtesteinkamp@die-kniggetrainerin.de

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