Höflichkeit im Alltag

Knigges Erbe

Was bedeutet es eigentlich, höflich zu sein? Und warum macht uns das zu einem „besseren“ Menschen? Knigge ist heute für uns das Synonym für Benimm und Etikette. Dabei würde sich Adolph Freiherr von Knigge wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass er für uns heute der „Benimm-Onkel“ ist. Denn in seinem berühmten Werk „Über den Umgang mit Menschen“ (1788) geht es um etwas ganz anderes.

Jüngst war ich eingeladen, auf einer Podiumsdiskussion meine Tätigkeit als Trainerin für Business-Etikette vorzustellen. In meinem Intro betonte ich den tatsächlichen Zweck guter Umgangsformen so: „Es ist für mich absolut zweitrangig, wie korrekt Sie Ihren Hummer essen. Mich interessiert, wie cool Sie bleiben, wenn Sie der Chefetage gegenüber stehen. Und ob Sie die Putzfrau grüßen!“ Ich möchte Business-Knigge greifbar machen. Jeder darf sicher und souverän auftreten und sollte sich nicht beim drohenden Smalltalk am Buffet in der Ecke verstecken.

Viele werden im Rahmen der aktuellen Knigge-Welle nun steif und förmlich, verlieren ihren natürlichen Charme, der so viel wert ist. Es herrscht Karrieredenken und Ellbogen-Taktik. Gerade das wollte Knigge eben nicht!

Knigge wollte mehr Ethik, Moral, Geist, Bildung, Menschlichkeit, Natürlichkeit. Dazu gehören natürlich auch Erziehung und gute Umgangsformen. Dachte man früher, es komme nur auf Fleiß, Intelligenz und Fachwissen an, so stellt sich heute zunehmend die bedeutende Rolle unserer Außenwirkung heraus. Wir alle senden Botschaften aus, wobei unsere erste Wahrnehmung visuell ist. Daher ist es schon wichtig, dass man weiß, wie man sich anlassgerecht kleidet, wo man am Tisch die Serviette lässt und in welcher Reihenfolge man Geschäftspartner begrüßt. Auffallen sollte man allerdings durch Stil und nicht durch ein löcheriges Shirt im Geschäftstermin. Es gibt so einige Tipps und Regeln, die einem die nötige Sicherheit auf dem beruflichen Parkett geben. Regeln, die man lernen und trainieren kann. Das ist das handfeste „Werkzeug“, das unsere Gesellschaft aus dem Ursprungsgedanken des Knigge gemacht hat.

Man sollte allerdings insgesamt nicht übertreiben. Gutes Benehmen ist nicht alles. Zum Stil gehört auch geistige Größe und Bildung. Ganz wichtig: auch die des Herzens. Benimm ist wieder in! Während sich ältere Generationen auf diesem Terrain meistens souverän bewegen, fehlt es den antiautoritär erzogenen Generationen an der nötigen Sicherheit. Die Einstellung "Erlaubt ist, was gefällt." rächt sich besonders, wenn es um die Karriere geht.

Natürlich ist es für uns alle wichtig, modern zu sein und mit der Zeit zu gehen, für viele steht Individualität ganz weit oben. Trotzdem möchte ich animieren, wieder mehr im „Wir“ zu denken. Übernehmen Sie Verantwortung als Teil unserer Gesellschaft, als Vorbild für die nächste Generation. Säen Sie selbst Hilfsbereitschaft, und ernten Sie im nächsten Augenblick ein Türaufhalten vom Kollegen. Verzichten Sie auf Freizeitkleidung im Business (egal, wie teuer!) und erweisen Sie Ihren Gastgebern (auch privat) Respekt durch Pünktlichkeit. Schauen Sie Ihrem Gesprächspartner in die Augen und nicht auf Ihr Smartphone, dann ist auch der gemeinsame Kaffee viel sympathischer.


Birte Steinkamp
Zert. Trainerin für Business-Etikette

birtesteinkamp@die-kniggetrainerin.de